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Meine Mama hat Demenz – Mamas Reise

Judith Weischer Judith Weischer

Meine Mama hat Demenz.

Nur ein Satz, nur vier Wörter. Und doch hat dieser Satz, haben diese Worte mein Leben in den vergangenen zwei Jahren auf den Kopf gestellt.

In diesem Blogartikel schaue ich zurück auf die Jahre, die nicht nur unsere Mutter komplett verändert, sondern auch mir und meiner Schwester viel abverlangt haben.

Der 80. Geburtstag

Meine Mama war immer die absolute Powerfrau. Hat alles mit Leichtigkeit organisiert, für alle mitgedacht und hatte einen großen Freundeskreis. Mit ihren Mädels hat sie tolle Reisen und Freizeitaktivitäten unternommen. Sie war immer die treibende Kraft. „Eri macht das schon, auf sie ist Verlass!“ Auch als Rentnerin hat sie bis zuletzt gearbeitet, im Hotel, als Hausaufgabenhilfe, als Bügelhilfe bei einem Pastor. Sie konnte einfach nicht stillsitzen und schon gar nicht gar nichts machen. Und am Liebsten hat sie ihre Geburtstage groß gefeiert! Dafür hat sie gerne gespart und viel ausgegeben. Sie liebte es einfach, im Mittelpunkt zu stehen, gut auszusehen, ihre Familie und Freunde um sich zu haben. So hat sie auch noch ihren 80. Geburtstag am 2. Juni 2019 feiern können. Aber der Geburtstag war schon … anders.

Anzeichen erkennen?

In unserer Familie war bis dato noch niemand mit Demenz erkrankt. Also hatten wir keine Erfahrung. Hätten wir es ahnen können? Ein halbes Jahr vor ihrem Geburtstag hatte Mama über Sehstörungen geklagt und wurde mit Verdacht auf Schlaganfall ins Krankenhaus gebracht und auf den Kopf gestellt. Ohne weitere Diagnose. Die Ärzte konnten nichts finden und schlossen den Fall ab mit: ist eben das Alter.

Heute würde ich die Anzeichen erkennen. Mama fing an, ihre Wohnung auszumisten. Sie wollte sich von alten Klamotten, Büchern, Möbeln etc. trennen. Sie kam auch auf die Idee, dass sie jetzt unbedingt eine neue Wohnung braucht. Sie brauchte Platz, fand sich nicht mehr zurecht, kleidete sich auch irgendwie seltsam unpassend.

Mama fühlte sich nicht mehr wohl, nicht mehr sicher.

Eine unerklärliche Unruhe überkam sie. Auch die Geburtstagsplanung fiel ihr schwer und machte ihr nur wenig Freude, sodass wir es in die Hand nahmen: Gäste auswählen, Einladungen drucken, Menü aussuchen. An ihrem Geburtstag merkten es dann alle, das war nicht mehr die Eri von früher.

Die Klinik

Nach dem Geburtstag ging es steil bergab. Mama konnte nicht mehr alleine in ihrer Wohnung sein. Sie wurde aggressiv und depressiv, verlor rapide an Gewicht und verließ die Wohnung nicht mehr. Meine Schwester und ich machten uns massiv Sorgen und sahen nur noch einen Ausweg: die Gerontopsychiatrie der LVR Klinik. Es ist nicht ganz leicht, dort einen Platz zu bekommen, das vorweg. Aber wir blieben hartnäckig und waren sehr erleichtert, als nach mehreren Anläufen endlich die Aufnahme bevorstand. Die Neurologin in der Klinik diagnostiziere mit einem Blick das, was wir schon befürchteten: vaskuläre Demenz.

Und Mama ging es erst mal wieder gut. In der Klinik bekam sie die Medikamente, die zumindest ihre Stimmung wieder auf ein nahezu Normalmaß brachten. Und wir haben dann mit ihr zusammen Entscheidungen treffen müssen. Neben der ergänzenden Vorsorgevollmacht haben wir auch die Betreuungs- und Patientenverfügung aufgesetzt und mit ihr besprochen, was wir im Fall der Fälle tun sollen und was nicht. Und das ist so wichtig! Das weiß ich heute. Dazu später mehr.

Hilfe annehmen im Alter oder bei Krankheit – häufig fällt uns das schwer. Unsere Kollegin Christiane Marsing ist seit Jahren ehrenamtlich in der Sterbebegleitung tätig und schildert uns ihre Alltagserfahrungen. Sie gibt wertvolle Tipps und erklärt, warum eine Vorsorgevollmacht so wichtig ist.

Das Seniorenstift

Demenz, Pflege, Vorsorge, Seniorenheim

Nach ein paar Wochen in der Klink kam Mama dann zunächst für einen Monat in die Kurzzeitpflege in ein Seniorenzentrum. Das ist ganz sinnvoll, denn in dem Monat können beide Seiten testen, ob man zueinander passt. Mama hat sich direkt sehr wohl gefühlt, sodass wir den Vertrag für die Aufnahme unterschreiben konnten. Ich kann der Einrichtung auch nur 5 Sterne geben. Sie kümmern sich dort vorbildlich um die Bewohner, liebevoll, voller Respekt und Menschlichkeit. Das war für uns entscheidend.

Mama war am Anfang mit Feuereifer dabei. Sie hat jede Aktivität mitgemacht, ob es die Bastel- oder Turnangebote waren, das nachmittägliche Kaffeetrinken, das Essen in Gemeinschaft. Wir haben im Februar 2020 noch gemeinsam Karneval feiern können!

Corona

Ob ihre Demenz ohne Corona langsamer vorangeschritten wäre, ich weiß es nicht. Fakt ist, dass sie schon im 1. Lockdown unglaublich abgebaut hat. Wir durften sie anfangs gar nicht mehr, später nur mit „Abstand“ besuchen. Und ich glaube, dass der fehlende Kontakt zu ihrer Familie viel ausgemacht hat. Sie wurde immobil, das Gehen fiel ihr schwer, die Inkontinenz stellte sich ein. Auch das Sprechen wurde schwerfälliger, sie suchte verzweifelt nach Worten. Zum Glück kamen die Corona-Lockerungen im Sommer, sodass wir wieder zu Besuch kommen und mit dem Rollstuhl Ausflüge unternehmen konnten.

Was passiert jetzt mit ihr?

Die 2. Corona-Welle im Herbst und die Weihnachtszeit waren hart. Es gab auch Covid-Fälle im Heim, daraufhin wurde es hermetisch abgeriegelt. Die Angst hat uns schier verrückt gemacht. Zum Glück wurde Mamas Wohnbereich verschont. Aber es waren einsame Wochen. Für uns alle. Und als wir uns wiedersehen durften, war unsere Mama weg. Die Demenz war nun sehr weit fortgeschritten. Ich denke immer, sie hat sich auf ihre eigene Reise gemacht und kann uns nicht mitnehmen. Sie spricht nicht mehr und zeigt kaum noch Mimik. Ein Königreich für ihre Gedanken!

Und dann kam der Tag, an dem wir die für uns schwerste Entscheidung treffen mussten. Zusammen mit ihrer Ärztin und der Pflegeleitung haben wir verschriftet, dass es keine invasiven Maßnahmen, keine Reanimation, keine künstliche Ernährung geben wird. Wie gut, dass wir mit Mama dazu gesprochen haben, als sie es noch konnte. Es ist ihr Wille, und dem folgen wir, auch wenn es schwerfällt.

Denn der Abschied beginnt. Wir wissen nicht, wie lange er dauern wird. Jede Stunde, die wir mit ihr verbringen dürfen, ist kostbar.

 

Hinweis der Redaktion:

Judiths Mama ist am 22. Mai friedlich eingeschlafen. Judith und ihre Schwester konnten bei ihr sein. Wir sprechen hiermit unser aufrichtiges Mitgefühl aus und wünschen viel Kraft.

 

Ãœbrigens: Laut ERGO Risiko-Report 2022 haben 60 % der Deutschen Angst vor Demenz bzw. Alzheimer.

Umso wichtiger ist Vorsorge. Das Beste, was man hinterlassen kann: alles geregelt zu haben. Informiere dich hier! 

#ERGOlebeachtsam


17Kommentare

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Kommentare

  • Inge Hillmann Antworten

    Habe letztes Jahr das Gleiche mit meiner Mutter erlebt. Sie war aber schon in 3. Generation in unserer Familie die mit dieser Krankheit befallen ist. Nur nannte man man das damals nicht beim Namen. Als Kind habe ich das ganze schon bei meinem Urgroßvater miterlebt. Dann meine Oma und nun war meine Mutter an der Reihe. Ich werde dieses Jahr 63. Mal sehen wann es mich trifft.

  • Nina Hayder Antworten

    Meine Mutter ist an Demenz erkrankt. Gut zu wissen, dass sportliche Aktivitäten helfen können. Ich werde für sie eine häusliche Pflege in Delmenhorst suchen.

  • Bodo Hüfing Antworten

    Danke für diesen Bericht, ich bin erst 57 Jahre, aber es scheint als wenn ich im frühstadium einer Demenz bin.

  • Lara Jaschke Antworten

    Hallo Bodo,

    es tut mir sehr leid, das zu hören. Ich wünsche dir und deiner Familie ganz viel Kraft!

    Viele Grüße von Lara aus dem Social Media Team.

  • Zteifo Antworten

    bei meiber stiefmutter ist es jetzt auch soweit. sie läuft in Zimmer und vergisst was sie wollte

  • Christiane Antworten

    Bei meiner Mama hat es vor ca. 2 Jahren, fast zeitgleich mit Parkinson angefangen. Es gibt gute und schlechte Tage. An manchen Tagen ist sie sehr verwirrt, hauptsächlich, wenn sie tagsüber immer wieder zwischendurch schläft. Es gibt aber auch immer wieder gute Tage, über die wir uns riesig freuen.
    Mama wird 85, war immer eine tolle, sportliche lebensfrohe Frau, die ihren Mann, unseren Vater schon mit 47 verloren hat und sich seitdem alleine, bis heute um unsere Schwester, ihre schwerbehinderte Tochter kümmert.
    Wir, ich und mein Bruder, unterstützen, so gut es geht, wir haben beide Vollzeitjobs. Auch durch Nachbarschaft und Familie werden wir gut unterstützt und hoffen, dass es noch lange so weitergeht.
    Ich liebe meine Mama so sehr und habe furchtbare Angst, vor dem, was noch auf uns zukommt. Ich weine sehr oft, es tut mir so weh, diese immer starke Frau so zu sehen.

  • Jennifer Germeshausen Antworten

    Hallo Christiane,

    es tut mir furchtbar leid, dass deine Mama so krank ist. Ich wünsche ihr, deiner Familie und natürlich dir nur das Beste!

    Liebe Grüße von Jenny aus dem Social Media Team 🙂

  • Bettina Antworten

    Ja, es ist schrecklich und fast nicht zu verstehen, was Demenz aus einem lieben Menschen macht. Auch unsere Mutter wurde von dieser Krankheit heimgesucht. Anfänglich waren es nur kleine „Aussetzer“, über die wir schmunzelten. Doch jetzt hat die Krankheit einen Raum eingenommen, der uns so macht- und hilflos erscheinen lässt .
    Es ist erschütternd und macht unendlich traurig, wenn man die geliebte Mutter, die ihr Leben lang für uns und andere da war, die ihr Leben meisterte, auf einmal nicht mehr der Mensch ist, den wir kennen und schätzen. Mit knapp 86 Jahren traf sie nun zusätzlich das Corona-Virus. Sie wird nun im Krankenhaus behandelt. Jedoch findet sie sich dort in keinster Weise zurecht. Wie es weitergehen wird, wenn sie entlassen wird, dafür haben wir noch keine Lösung. Sie kann nicht mehr alleine den Haushalt bewältigen. Wir sind alle Vollzeit berufstätig und können nur morgens und abends im Moment für sie da sein. Die richtige Entscheidung zu Fällen, wird nicht leicht für uns.
    Dabei wünsche ich mir nichts mehr als nur das Beste für unsere Mama.

    „Alt werden ist nichts für Feiglinge“ – so lautete ihr Spruch in den letzten Monaten immer häufiger. Und damit hat sie wohl auch recht. Wer weiß schon, was mich noch erwartet?

  • Jennifer Germeshausen Antworten

    Hallo Bettina,

    es tut mir furchtbar leid, dass deine Mama so krank ist. Ich kann und will mir noch gar nicht vorstellen, wie es sein muss die eigene Mama so zu sehen. Ich wünsche ihr, deiner Familie und natürlich dir nur das Beste!

    Liebe Grüße von Jenny aus dem Social Media Team 🙂

  • Ute castrononovo Antworten

    Welche medikamente erleichtern bei fortgeschrittener vasculierer demenz?

  • Sylvia Tichai Antworten

    Hallo Ute,
    auch bei vaskulärer Demenz gilt: Jedes Medikament muss individuell zum Patienten passen. Bitte sprich deshalb mit einem Arzt, welches infrage kommt. Wir drücken die Daumen, dass sich etwas findet, das hilft!
    Liebe Grüße von Sylvia aus dem Social Media Team

  • Lydia Antworten

    Hallo Julia,
    vielen Dank für deine Schilderung bzgl Demenz-Verlauf bei deiner Mutter. Mein Beileid zu ihrem Tod.

    Ich bin etwas überrascht, wie schnell der Zerfall bei ihr ging. Ich dachte immer Demenz geht in langsamen Schritten voran. Gilt dies nicht für die vasculäre auch? Ich Frage deshalb, da meine Mutter ebenfalls einen sehr raschen Verlauf hat und ich damit nicht wirklich klar komme….
    Liebe Grüße und alles Gute. Lydia

  • Judith Weischer Antworten

    Liebe Lydia,
    vielen Dank für dein Beileid. Es tut mir sehr leid, dass du Ähnliches durchmachen musst. In der Tat ist es nie leicht, mit dem Abschied zurecht zukommen. Auch wenn man die Angehörigen durch die Demenz verliert, ist es ein Abschied von dem Menschen, den man kannte.
    Es gibt wohl viele unterschiedliche Formen, medizinisch kann ich es nicht erklären. Leider hat die Corona-Situation und das Isolieren der Menschen mit dazu beigetragen, dass der Verlauf schneller ging als vielleicht erwartet. Ich habe meine Mutter nach den Wochen und Monaten, in denen ich sie nicht besuchen durfte, kaum wiedererkannt.
    Und dann glaube ich auch, dass sie nicht mehr wollte. Sie hat für sich entschieden, sterben zu wollen und wir konnten sie auf ihrem schweren Weg begleiten. Was nicht im Artikel steht, weil er quasi zu ihrem Todestag veröffentlicht wurde.
    Alles Gute für dich!

  • Rosi Antworten

    Mein Mann hat auch Demens, jetzt fällt er immer wieder hin, ich hebe ihn wieder auf, er ist sehr, wer wirrt, ich weiß nicht mehr was ich machen soll, er kann auch nicht mehr gut sprechen, mein Mann hat Pflegegard 3 ich möchte ihn nicht ins Heim geben, aber er bau sehr schnell ab ,könnte ihr mir vielleicht einen Rat geben, was ich machen könnte, das wäre sehr nett von Ihnen

  • Rosi Antworten

    Mein Mann hat auch Demens, fällt immer hin, und ist sehr verwirrt, kann auch kaum sprechen was kann ich für ihn ,er Pflegegard 3 ich Pflege ihn zu Hause, könnte ihr mir einen Rat geben was ich machen soll, das wäre sehr schön.

  • Sylvia Tichai Antworten

    Liebe Rosi,
    es tut uns sehr leid, dass dein Mann Demenz hat. Am besten wendest du dich an deinen Hausarzt. Vielleicht kann dich auch ein Pflegedienst bei der Pflege zu Hause unterstützen. Alles Gute für euch beide!
    Liebe Grüße von Sylvia aus dem Social Media Team

  • Muriel Antworten

    Ein sehr bedauerlicher, dramatischer Verlauf, vermutlich auch den Lockdown-Umständen geschuldet. Mein herzliches Mitgefühl auch heute noch. Wir haben im Umfeld erlebt, dass das Medikament Tebonin 240 ( von der Krankenkasse bei der Diagnose ‚vaskuläre Demenz‘ erstattet) viel gebracht hat und auch das ( allerdings selbst zu bezahlende) Präparat ‚PADMA 28‘. Letzteres vom Arzt auf Privatrezept verordnet und über die internationale Apotheke bezogen das in Deutschland nicht verkehrsfähig – in Österreich und der Schweiz hingegen Verordnung auf Kassenrezept bei arteriellen Durchblutungsstörungen.

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