Hoffnung ist besser als Angst. Diese Einstellung hilft Tanja Ramming jeden Tag im Umgang mit ihrem erkrankten Sohn. Unsere Kollegin erzählt uns von ihrem Alltag mit der Krankheit Mukoviszidose.
„Woher nimmst du bloß deinen Optimismus? Wie kannst du immer noch fröhlich sein?“
Diese oder ähnliche Fragen stellen mir Eltern von neudiagnostizierten Kindern oft nach unserem ersten Gespräch. Sie haben vor Kurzem erfahren, dass ihr Sohn oder ihre Tochter an der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose erkrankt ist.
Mukoviszidose= Todesurteil – ja oder nein?
Ich kann mich noch gut erinnern, als mir der Arzt vor knapp acht Jahren stockend am Telefon mitteilte: „Es tut mir leid, aber Luca hat tatsächlich CF*. Es tut mir so leid.“
(*CF bedeutet Cystic Fibrosis/ Zystische Fibrose – der internationale Name für Mukoviszidose)
Ein schweres Wort. Und ein Unbekanntes dazu. Meine Internetrecherche ergab damals: Mukoviszidose ist die am häufigsten vorkommende Stoffwechselkrankheit der weißen Bevölkerung mit immer tödlichem Ausgang. Es ist schwierig zu beschreiben, mit welcher Wucht uns dieser Satz damals traf. Schon öfter- hatte ich zuvor in verschiedenen Artikel gelesen, wie sich so ein Schicksalsschlag anfühlt: Die Welt steht einen Augenblick still und wenn sie sich weiter dreht ist nichts mehr so wie vorher. Und genauso fühlt es sich an. Genau so.
Also wie kann man mit einer so vernichtenden Diagnose noch glücklich weiter leben?
Ganz einfach. Erst einmal gar nicht. Diese Diagnose macht einfach alles kaputt, was man sich mit dem Partner aufgebaut und erträumt hat. Und dieser Traum ist ausgeträumt. Vorbei. Aber das Leben ist es nicht. Es ist nur anders. Und dann hat man die Wahl: Gehst du daran zu Grunde oder machst du das Beste daraus?
Mukoviszidose greift die Bauchspeicheldrüse an
Wir hatten auch gar nicht viel Zeit zu trauern. Luca war ein anstrengendes Baby. Er schlief maximal drei Stunden am Stück – und das Tag und Nacht. An seinem sechsten Lebenstag wurde er operiert – er hatte bei Geburt bereits einen Darmverschluss und wir lernten von der Stoma-Beraterin, wie wir einen Säugling mit künstlichem Darmausgang zu versorgen hatten. Aufgrund der Mukoviszidose konnte er kein Fett verdauen, da seine Bauchspeicheldrüse irreparabel geschädigt war.
Das Krankenhaus – unser zweites Zuhause
Zu jeder Mahlzeit musste er nun Enzyme einnehmen – jeder, der jemals ein hungriges und schreiendes Neugeborene gefüttert hat, kann sich vorstellen, wie energieraubend es ist, bitter schmeckende Medikamente in dieses kleine Wesen hineinzuschieben Die Klinik wurde mein zweites Zuhause. Das erste Jahr verbrachten wir achtmal auf der Intensivstation. Dazu kam die monatliche Kontrolle in der Ambulanz. Und natürlich die ganz „normalen“ Arztbesuche. Ich habe nachgezählt: Wir waren 38 Mal beim Kinderarzt. Jedes Gurgeln versetzte mich in Panik und verursachte Angstattacken.
Die Ärzte ermahnten uns immer wieder, dass Kinder mit Mukoviszidose unbedingt viel essen müssen. Und häufig. Und fettreich. Je höher das Gewicht, desto besser die Lebenserwartung. Dieses Wissen wurde fast zwei Jahre mein Mantra und vor allem meine Hauptbeschäftigung: Essen in mein Kind zu schütten und beten, dass es verdaut wieder herauskam. „Druckbetankung“ nenne ich das jetzt schmunzelnd. Zehn Wochen nach Lucas erster Operation konnte der künstliche Darmausgang zurück verlegt werden. Ein kleines Wunder, mit dem selbst die Ärzte nicht gerechnet hatten. Und unser erstes kleines Glück. Er überstand auch diese Operation sehr gut und entwickelte sich altersgerecht.
Unser bester Freund: Bob der Baumeister
Wir waren zudem sehr einfallsreich, was die tägliche Inhalations- und Physiotherapie betraf. Hüpfend auf dem Pezziball inhalieren und dabei Kindersendungen schauen. Ich warf meine pädagogischen Bedenken über Bord und war einfach nur froh, wenn er diese Maske aufließ. Bob der Baumeister wurde unser bester Freund.
Apropos Freunde. Neben der Familie waren unsere Freunde der wichtigste Schlüssel für ein starkes seelisches „Immunsystem“! Auch wenn sich der ein oder andere Schönwetterfreund verabschiedet hat, wurde das Band der Freundschaft mit anderen umso fester und enger. Nicht umsonst heißt es: Freunde sind die Familie, die du dir aussuchen kannst. Wieder ein Glück, dass nicht jeder in dieser Intensität kennen lernen darf. Auch heute noch unterstützen mich Freunde und Bekannte sowie auch Arbeitskollegen bei meiner Arbeit im Mukoviszidose Verein – sei es als Helfer oder Gast bei verschiedenen Benefiz-Veranstaltungen für die Forschung.
Mit Rückschlägen umgehen lernen und nicht aufgeben
Leider blieben uns Rückschläge nicht erspart und so erlitt Luca in den ersten zehn Monaten seines Lebens insgesamt fünf Darmverschlüsse. Der vierte musste erneut operiert werden und die Ärzte entfernten vorsorglich ein Stück seines Darms und zugleich auch den Blinddarm – sicher ist sicher…
Vierzehn mal entwickelte sich eine harmlose Erkältung zu einer hartnäckigen Bronchitis und die Angst vor Keimen und einer lebensgefährlichen Lungenentzündung ließen uns neue Wege auf der Suche nach möglichen Lösungen gehen: der Gang zum Heilpraktiker und Osteopathen. Ein paar Irrtümer waren sicherlich auch dabei, aber das gehört wohl dazu, wenn man Neues ausprobiert. Zu unserem großen Glück fanden wir eine Heilpraktikerin, die mit uns und gesundem Menschenverstand einen guten Weg zwischen Schul- und Komplementärmedizin fand. Die akuten Notsituationen nahmen kontinuierlich ab. Wir wagten wieder zu verschnaufen.
Der Kampf gegen lebensgefährliche Keime in der Luft
Knapp zwei Jahre nach der Diagnose kehrten Routine und Ruhe ein. Zeit, in der ich meine innere Balance wiederfand und den Drang verspürte, wieder etwas zurückgeben zu wollen. Meine ehrenamtliche Arbeit beim Mukoviszidose Verein begann. Ich durfte Menschen kennen lernen, die ich ohne Lucas Erkrankung nie kennengelernt hätte. Menschen, die Schutz und Trost spenden und mit einer unerschütterlichen Zuversicht anderen Betroffenen helfen. Allein durch ihre Anwesenheit. Durch ihre Zeit. Durch ihre Aufmerksamkeit. Und durch ihre Erfahrung und ihr Verständnis.
Nur eine Muko-Mama weiß, wie heiß und kalt es einem über den Rücken laufen kann, wenn man sieht, wie das Kind den Toilettenknopf drückt, ohne vorher den Deckel zu schließen. Und man am liebsten mit einem tollkühnen Hechtsprung genau diesen Deckel noch zuklappen möchte, bevor gewisse Pseudomonas Aeruginosa Keime in die Luft und somit in die Atemwege des Muko-Kindes gelangen könnten. Eine frühzeitige Besiedelung mit diesen Feuchtkeimen bedeutet häufig eine kürzere Lebenserwartung…
Heute sieht man Luca seine Krankheit gar nicht an. Er geht in die zweite Klasse, macht viel Sport, liebt Star Wars und gängige Fastfood-Restaurants. Das ist Segen und Fluch zugleich. Segen, weil er nicht stigmatisiert und ausgeschlossen wird, und Fluch, weil auch Behörden diese Krankheit nur dann als „schwerwiegend“ einstufen, wenn sie bereits fortgeschritten ist und Krankenhausaufenthalte zur Tagesordnung gehören. Neben dem täglichen Kampf gegen Keime und Bakterien und der täglichen Energiezufuhr (Luca benötigt mit seinen sieben Jahren bereits 3.000 bis 3.500 Kalorien) bedarf es also auch einer gewissen Portion Hartnäckigkeit und Ausdauer. Gegenüber dem Versorgungsamt, der Kranken- und Pflegekasse oder auch der Kindergarten- und Schulleitung – wenn es sein muss, bis vor Gericht.
Man lernt was Demut bedeutet
Ich bin dankbar für das, was ich habe. Ich habe gelernt, was Demut heißt und sehe nichts mehr als selbstverständlich an. Ich bin gelassener und amüsiere mich im Stillen über Dinge, über die sich Andere aufregen. Für uns aber ist ein einziger Tag ohne Atemprobleme, ohne Husten oder Bauchweh ein guter Tag. Das Lachen meines Sohnes zeigt mir, wie einfach es ist, zufrieden und glücklich zu sein. Und wenn er es sein kann, dann kann ich das ja wohl auch!
Jedes Jahr kommen in der Bundesrepublik rund 200 Kinder mit Mukoviszidose auf die Welt. Fünf Prozent der Bevölkerung sind gesunde Merkmalsträger der tückischen Erbkrankheit. Sie sind selbst gesund, können Mukoviszidose aber vererben. Die häufigsten Symptome sind: Im Verlauf der Krankheit können mehrere Symptome und Komplikationen auftreten. Mit zunehmendem Alter des Betroffenen sind neben der Lunge auch die Bauchspeicheldrüse (Diabetes) und die Leber, Gallenwege und Gallenblase (Gallensteine), die Nieren und die Knochen (Osteoporose) betroffen.
Die Symptome der Krankheit Mukoviszidose sind individuell sehr unterschiedlich und hängen von der Art der Veränderung des Gens (Mutation) ab. In der Regel zeigen sich die Symptome bei den oberen Atemwegen und der Lunge. Aber auch die Verdauungsorgane, wie die Bauchspeicheldrüse, sind häufig betroffen.
Mukoviszidose ist noch immer unheilbar. Durch Therapien wie Krankengymnastik, Inhalationen und viele Medikamenten, insbesondere Antibiotika, hat sich die Prognose der Betroffenen in den letzten Jahren erheblich verbessert.
Ist auch in eurer Familie oder im Freundeskreis jemand von Mukoviszidose betroffen? Wie habt ihr gelernt, mit der Diagnose umzugehen? Teilt gerne eure persönlichen Erfahrungen in den Kommentaren mit mir!
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